Die Fütterung der Tauben

Quelle: Schweizerische Blätter für Ornithologie.
Von E. Becker-Corrodi. Zürich den 26. Januar 1894.

Vor 123 Jahren hatte die Fütterung der Tauben noch nicht den Stellenwert wie im 21. Jahrhundert. Das zeigt sich beim nachfolgenden Bericht deutlich, da erst im letzten Drittel auf die eigentliche Fütterung eingegangen wird.

Die Tauben leben bekanntlich von Sämereien aller Arten, doch lernen sie sich auch mit andern begnügen.

Feldernde Tauben fressen alles mögliche Gesäme, das sie finden, also auch Unkrautsamen, wodurch sie eher nützen als schädlich wirken, was durch gewis-senhafte, umfassende Untersuchungen genügend bewiesen ist. Die Tauben nehmen nur diejenigen Getreidekörner, die obenauf liegen oder nicht gehörig mit Erde gedeckt sind, daraus entsteht dann nur schwache Halme mit geringen Ähren; weil immer mehr Samen als nötig, gestreut wird, so können diese mangelhafte Halme gut entbehrt werden, da sie die andern nur beengen. Man hat noch nie beobachtet, dass ein von Tauben beflogenes Feld weniger Halme hatte, als ein anderes, gleichstark besätes. Schädlich können sie nur in einzelnen Fällen werden, z. B. da, wo Bohnen gesteckt wurden, nach denen sie sehr lüstern sind und solche mit dem Schnabel hervorholen, wenn sie nicht tief genug gesetzt sind.

Wo alles Feldbau treibt, da ist der Wunsch natürlich Feldtauben zu halt, die sich ihr Futter selbst suchen und doch Junge liefern, die gut verwertet werten können. Dadurch können dann die Tauben doch beschwerlich werden, wenn man auch über den Grad ihrer Schädlichkeit verschiedener Meinung sein kann, daher bestehen in solchem Getreidebau eigene Taubengesetze, welche bestimmen, wie viele Tauben ein jeder Grundbesitzer nach Massgabe seines Besitztums halten darf. Es sind ferner sogenannte Sperrzeiten festgesetzt,  während welchen die Tauben nicht fliegen gelassen werden dürfen, so namentlich zur Saat und Erntezeit. Die enge Hast beim Sonnenwetter ist für die fluggewohnten Tauben nun freilich sehr unangenehm, eben so für den Besitzer, weil er sie nun füttern und tränken muss. Die Meinung des Volkes geht nun mal dahin, die Tauben schaden, aber ihr Nutzen durch das Aufleben von allem Unkrautgesäme wird zu wenig beachtet.

Ist die Wohnung der Tauben nahe beim Wald, so fliegen sie auch in diesen, besonders dann, wenn das Feld etwas mit Schnee bedeckt, der Waldboden noch offen ist. Im Wald fressen sie auch Heidelbeeren, Wachholderbeeren und noch andere, besonders aber auch die Samen der Nadelhölzer und Eichen. Ausnahms-weise nehmen sie kleine Gehäusschnecken auf, wie auch kleine Steinchen, wahrscheinlich aus Instinkt, um die Verdauung zu befördern und Kropf nebst Magen etwas auszuscheuern, wie es ja bei allen Vögel geschieht.

Der freie Flug der Tauben und namentlich das Feldern ist das Naturgemässe,  dabei bleiben die Tauben stets gesund und kräftig. Hat man feine, teure Tauben,  so ändert es sich etwas. Eigentliche Hoftauben, Pfauen, Kröpfer, Perrüken u.s.w. vermissen den freien Flug weniger und sind zum Feldern schon gar nicht geeignet. Um der Bestimmung dieser Flugvögel aber doch einigermassen gerecht zu werden, so sollte man denselben wenigsten eine grosse Räumlichkeit anweisen; sehr erwünscht ist es, wenn die Tauben ein offenen, vergitterten Raum zur Benützung haben, wo sie des Sonnenlichtes wie das Regens teilhaftig werden können. Teure Tauben sind auf diese Weise gut geborgen, allen Gefahren, dem Raubvogel und dem Diebstahl entzogen und gedeihen vorzüglich. Ein solcher vergitterter Raum kann dann noch zur Haltung von Wachteln und Singvögeln ge-eignet gemacht werden.

Die Fütterung der Tauben ist eine höchst einfache und billige, weil sie sich von Sämereien aller Art nähren, die leicht zu bekommen sind; aber auch zu Weichfutter bequemen sie sich leicht und nehmen gekochte und gestampfte Kartoffeln gerne, besonders wenn man etwas Salz beisetzt, wenn sich dieselben einmal gewöhnt sind. Auch andere Speisen verschiedener Art vom Tisch lassen sie sich schmecken;  so muss sich unser Hofhund beeilen wenn er seine Mittags-mahlzeit unverkürzt finden will, denn schnell ist der Taubenschar, Koburger Lerchen, da, um sich an den Überresten zu regaliren, obwohl sie immer gedeckten Tisch haben. Es geschieht dann auch wohl, dass Hund und Taube aus dem gleichen Geschirre zusammen fressen. Gerste, Weizen, Mais, Haidekorn  (Buchweizen)  sind vorzügliche Futterarten für Tauben;  vor allem aber lieben sie die Wicken, ebenso die Bohnen, und alle Hülsenfrüchte. Roggen nehmen sie nur vor dem verhungern und Hafer in Hülsen plagen sie zu sehr durch das Stechen bei voller Fütterung.

Alle Tauben aber besonders den eingesperrten, sollte man Sand geben. Wir nehmen dazu Flusssand, vermischen solcher mit Salz und begiessen es gut mit Wasser; das Salz löst sich auf, verbindet sich mit dem Sand zu einer etwas festen Masse, welche dann die Tauben begierig abpicken. Andere zerstossen Dachziegel, was auch gerne genommen wird.

Die Fruchtbarkeit der Tauben, sowie die Aufzucht richtet sich selbstverständlich nach der Menge und der Wahl des Futters, welches man reicht. Bei vollständiger, satten Fütterung sind bei fruchtbaren Tauben etwa acht Bruten im Jahr  zu er-zielen; werden die Tauben gar nicht gefüttert oder sehr mangelhaft, so wird man etwa mit zwei Bruten begnügen müssen im Jahr. Die Feldtauben sollten das Futter durch ihre Jungen, die Hof oder Rassentauben dasselbe durch reine Zucht bezahlen.

Der  Bericht wurde von der Sütterlinschrift in die Lateinische Schrift umgeschrieben.

Walter Stettler CH Binningen www.flugtippler.ch

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