Die Tauben in China

Quelle: Schweizerische Blätter für Ornithologie.
Zürich 26, Oktober 1894 von Ferd. Wirth Zug

China, das nach Russland das umfangreichste Land der Erde und das Grösste in Asien, 250 000 Meilen einnehmend und ca. 300 Millionen Einwohner zählend und der bekannten chinesischen Mauer von 300 Meilen Länge umgeben ist, erregt gegenwärtig das lebhaftestes Interesse der Welt durch den Krieg mit seinen kleinen Nachbar ,,der Insel Japan", der ihnen die nahe gelegene Halbinsel ,,Korea" entreissen will; ein Kampf des kleinen Hirtenknaben David gegen den Riesen ,,Goliath", denn Japan zählt nur etwa 30 Millionen Einwohner.

In diesem Land China, das in seinem südlicheren Teil alle die Segnungen eines warmen Klimas geniesst, daher die Bodenkultur bei einer dichten Bevölkerung auf sehr hohen Stufe steht, nimmt auch die Geflügelzucht eine hervorragende Stelle ein. Wir hatten schon oft Gelegenheit, von der Entenzucht in China zu reden, die, begünstigt durch grossartige Weise betrieben wird.

Etwas Ähnliches betreiben die Chinesen mit anderem Geflügel und namentlich auch mit den Tauben. Die wenigen Bedürfnisse, welche diese Kinder des himmlischen Reiches haben, erlauben ihnen, sich harmlose Vergnügen hinzu-geben, zu welchen namentlich die Beschäftigungen mit den Tauben gehören, was ja auch so sehr dem beschaulichen Sinn der übrigen Bewohner Asiens entspricht.

Der ,,Allgem. Deutsche Geflügelzeitung" entheben wir Folgendes über die Tauben in China: ,,Die französische Zeitschrift, Revue des sciences naturelles appliquées" brachte jüngst aus der Feder des Dr. Meyners d`Estrey einen interessanten Aufsatz über die Tauben des himmlischen Reiches, der nach chinesischen Bücher bearbeitet war und uns auch für unsere Leser interessant genug erscheint, um ihn hier in Übersetzung folgen zu lassen.

Darnach teilten die Chinesen sämtliche Vögel in vier Klassen ein: Jn Wasser, Land, Wald und Berg-Vögel. Die Tauben werden zu den Landvögel gerechnet und zerfallen in 2 Unter Abteilungen : Jn ,,Ko-tzu" oder domestizierte und ,,Chiu" oder wilde Tauben. Man nimmt an, dass der ein Synonyn für ,,Ko-tzu" bildende Name ,,Po-ko" des Girren der Taube nachahmen soll. Die Brieftaube heisst ,,Fei-nu" im Chinesischen, was in unser geliebtes Deutsch übertragen so viel wie ,,fliegender Sklave", welchen Namen sie zur Zeit des Kaiser Ming, von der Dynastie der T`ang, erhielt. Andere behaupten, dass sich ,,Chang-Chin-Ling" zuerst dieses Namens bedient habe. Die Brieftaube, welche man an dem Schwanze kleine Pfeifchen be-festigt hat, um durch denen Getöne die Raubvögel zu vertreiben, werden ,,Pan-t` un-chiaojen" oder ,,Töchter ,welche die Lüfte bezaubern" genannt.

Die Tauben sind von verschiedener Farbe: blau, weiss, schwarz, grün, gefleckt. Einige haben grosse Augen, andere wieder kleine; von Farben dieselben gelb, blau oder grün.

Die Taube in China ist sehr heimatliebend und gibt eine ganze vorzügliche Brief-taube ab. Selten begibt sich ein Chinese auf die Reise, ohne eine gewisse Anzahl von Tauben mit sich zu nehmen, um von Zeit zu Zeit seinen Eltern oder den zu Hause zurückgebliebenen Freunden Nachrichten zukommen lassen zu können.

Einer der sicheren Gattungen wilder Vögel, welche der Hofkoch des Kaiser unter der Dynastie der Chuw zur kaiserlichen Tafel, sowie für die religiösen Hand-lungen zu liefern hatte, war die der Tauben.

Von den verschiedenen Taubenarten darf besonders die von weisser Farbe als Liebling der Chinesen bezeichnet werden und sie spielt in der Heilkunde dieses Volkes eine nicht unwichtige Rolle. Ihr Fleisch sagt man, ist ein wenig gesalzen und nicht giftig, es erhitzt weder, noch kühlt es das Blut ab; es besitzt die gute Eigenschaft der Arznei und heilt selbst veraltete Fälle.

Was die Pfeifchen anbelangt, wovon der Verfasser spricht,so hatten wir in diesen Blättern wiederholt davon gesprochen, z. B.auf Seite 2 und 472 von Jahrgang 1892 ausführlich. Wir boten selbst solche Pfeifchen von Bambus zum Kaufe an, die wir von einem Freund in Schanghai erhalten hatten. Nur ganz wenige wurden verlangt, die Besitzer bestätigten das Pfeifchen derselben und behaupten, dass sie die Raubvögel fernhielten. Ein Deutsches Blatt bezeichnet diese Pfeifchen als eine Spielerei, es ist etwas Richtiges daran; man hat in Europa nicht die Zeit zur derlei Kurzweil, aber wir dachten für die Brieftaube wäre die Sache zum Schutze gegen Raubvögel, besonders in unserer bergigen Schweiz eines Versuches wert gewesen.

Der Bericht wurde von der Sütterlinschrift in die Lateinische Schrift umgeschrieben.

Walter Stettler CH Binningen www.flugtippler.ch                                      

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